Annett Louisan

„Ich bin wahnsinnig stolz auf Annett Louisan und liebe es, mit ihr auf der Bühne zu stehen“ – das hat Annett Päge mal über Annett Louisan gesagt. Päge? Louisan? Ist das nicht derselbe Mensch? Ja, es ist derselbe Mensch, aber es sind zwei unterschiedliche Personen. Annett Päge wurde 1977 in Sachsen-Anhalt geboren, in der ehemaligen DDR. Und Annett Louisan wurde 2004 in Hamburg erschaffen, als Sängerin, Musikerin, Bühnenfigur, die in jenem Jahr mit „Bohème“ ihr Debütalbum veröffentlichte und zu einer der erfolgreichsten deutschen Sängerinnen dieses Jahrtausends wurde.

Annett Louisan
Annett Louisan
Sie sei das Ergebnis eines „klassischen One-Night-Stands“, hat Annett mal erzählt. Sie wuchs, ohne jeden Kontakt zu ihrem Vater, in einem kleinen Dorf an der Elbe auf, bei ihrer Mutter, einer Krankenschwester, und ihren Großeltern. Vor allem die Großmutter hat sie sehr geprägt, sie habe sie „sehr geliebt und verehrt“. Eine Übermutter, wie Annett, es formulierte, die sieben Kinder hatte. Als sie 17 war, fuhr sie mit ihrer Großmutter zum ersten Mal nach Paris – jene Stadt, die lange unerreichbar auf der anderen Seite der Mauer lag, 971 Kilometer entfernt, und die Annett doch so nah war: Französische Filme liefen im DDR-Fernsehen, die Chansons sang sie nach. Der Paris-Urlaub war ein Schlüsselerlebnis für Annett: „In dieser Stadt stellte ich fest, dass ich mir meinen Lebensweg aussuchen konnte.“

Ein neuer Lebensweg war der Wechsel von Ost nach West. Kurz nach der Wende war Annett mit ihrer Mutter nach Hamburg gezogen, genau zu der Zeit, als aus dem Kind ein Teenager wurde. Sie interessierte sich für den deutschen und vor allem deutschsprachigen Pop der Neunziger, für die Fantastischen Vier, für die Absoluten Beginner. An der Hamburger Kunsthochschule begann sie, Malerei zu studieren. Nebenbei verdiente sie sich Geld als Studiosängerin und lernte Gitarre zu spielen, um eigene Songs komponieren zu können. Dann traf sie den Produzenten, Komponisten und Texter Frank Ramond, der unter anderem in der Band von Lotto King Karl gespielt und mit Roger Whittaker und Truck Stop zusammengearbeitet hatte, und es begann wieder ein neuer Lebensabschnitt.

Der erste Song, den sie gemeinsam schrieben, war „Das Spiel“ – ein frivol-ironisches Spiegelkabinett voller Frauen- und Männerklischees. Gesungen wurde das Lied nicht von Annett Päge, sondern von Annett Louisan. Diesen Künstlernamen hatte sie sich gegeben, nach dem Vornamen ihrer Großmutter Louise. Mit Annett Louisan war nun die Kunstfigur erfunden, die mit dem Image der gewitzten Lolita startete und mit zarter Stimme clevere deutsche Chansons sang. Das Debütalbum „Bohème“ stand 54 Wochen lang in den deutschen Charts – eine Sensation für eine bis dahin völlig unbekannte Musikerin.

Seitdem hat Annett Louisan fünf weitere erfolgreiche Alben veröffentlicht: „Unausgesprochen“ (2005), „Das optimale Leben“ (2007), „Teilzeithippie“ (2008), „In meiner Mitte“ (2011) und „Zu viel Information“ (2014). Sie alle standen wochenlang in den Charts, auch in Österreich und der Schweiz. Zwar wurzeln sie alle im französischen Chanson, aber weitere musikalische Einflüsse kamen nun hinzu: Blues, Latin, Flamenco, Swing, Jazz, Country. Das Lolita-Image ließ Annett Louisan hinter sich. Sie erfand sich immer wieder neu, was auch ihre Looks zeigen: mal sehr französisch mit dunklen Haaren, Zigarette und Trenchcoat, mal lässig mit Jeans und lockerem Pullover, mal glamourös im grauen Seidenkleid oder mit Perlenkette.

Dazu gehörte, dass sie auch die Stadt wechselte: New York, Berlin, dann wieder Hamburg. „Ich mache mich jedes Mal leichter. Ich lasse los, bin der ,Ein-Koffer-Typ‘“, sagt Louisan über sich selbst.

Bei ihren Alben arbeitete sie nicht nur mit Frank Ramond zusammen, sondern sie schrieb ihre Songs mit vielen weiteren Textern und Komponisten. Dazu gehören Ulla Meinecke, Annette Humpe, Danny Dziuk, Martin Gallop, der auch ihr Lebensgefährte war, und Marcus Brosch, mit dem sie heute verheiratet ist.

Es gibt auch ein Musiker-Leben neben den Plattenproduktionen und den Tourneen mit Dutzenden von Live-Konzerten. Annett Louisan gab zum Beispiel Hildegard-Knef-Abende, sie sang den Titelsong des Kinofilms „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“. Als Botschafterin für fairen Handel reiste sie mit der Welthungerhilfe nach Sierra Leone, ins zweitärmste Land der Welt. „Das hat meinen Kopf richtig zurecht gerückt. Ich habe gedacht: Meine Güte, du hast wirklich keine Probleme hier. Du kannst dankbar sein für dein Nutellabrötchen morgens.“

Annett sagt, sie habe schon immer Sängerin werden wollen. Diesen Lebensweg hat sie sich ausgesucht, und sie ist ihn selbstbewusst und erfolgreich gegangen. Ihrer Mutter sei es wichtig gewesen, „dass man sich als Frau selbst verwirklicht. Meine Mutter hat mir dieses Selbstbewusstsein mitgegeben. Das war das Wichtigste, was sie für mich gemacht hat.“