Doc Schocko by Gabriele Summen

Doc Schoko – Stadt der Lieder

Doc Schoko denkt sich überall und dauernd Musik aus. Mit Freundinnen und Freunden, allein oder zusammen mit vielen anderen, auf jedem erreichbaren Instrument.

Doc Schoko - Stadt der Lieder - VÖ: 02.02.2018
Doc Schoko – Stadt der Lieder – VÖ: 02.02.2018
Wenn er loslegt, wenn Doc Schoko also spielt, singt und damit anrührt und unterhält, bestärkt er so die unterschiedlichsten Menschen in seiner Umgebung, selber Worte zu finden und dazu Farben mit Klängen zu malen, kurz: Musik zu machen. Auf diese Weise wirkt Doc Schoko als leider noch viel zu oft übersehener Musician`s musician, der anderen Mut eingibt.

Und eine Lust, die auch ihn selbst ansteckt. Doc Schoko liefert dafür seit langer Zeit immer wieder beste Beispiele. Wenn er gerade nicht als Support Act mit der einen legendären Band tourt, mit einer anderen legendären Band im Studio aufnimmt oder Kompositionen für Theaterstücke schreibt und aufführt, dann veröffentlicht er in aller Ruhe und Gelassenheit Lieder unter seinem Namen.

Dieses Jahr ist es wieder soweit. Doc Schoko nimmt sein Publikum auf seinem neuesten, vierten Album als Reiseleiter mit auf eine Tour durch die Stadt der Lieder. Dorthin, wo sich eine Menge über die wirtschaftliche Lage vieler Künstler heute erfahren lässt: Früher war das Geld wenigstens noch knapp, mittlerweile ist gar keins mehr da. Die Musik ist für Musiker ein heißgeliebtes Zuschussgeschäft geworden. In der „Stadt der Lieder“ müssen deren Einwohner mitten im Kapitalismus ohne Kapital auskommen. Dafür finden sie hier heraus, was Musikmachen ist: Eine romantische Unternehmung in einer gnadenlosen Umgebung.

Doc Schocko by Gabriele Summen
Doc Schocko by Gabriele Summen
Um die daraus folgenden Konsequenzen zu beschreiben, nimmt uns Doc Schoko auf einen Spaziergang „am Strand“ mit. Für andere handelt es sich dabei um jenen einladenden Platz, von dem aus sich im Sommer schwimmen gehen lässt. Für Doc Schoko aber ist es ein Ufer, an das ihn Lebensstürme und biographische Schiffbrüche gerade noch lebendig geworfen haben.

Immerhin kannte das aufgewühlte Wetter die richtige Richtung. Denn genau an diesem Strand traf Doc Schoko langjährige Weggefährten, den Bassisten Pascal Schneider, den Schlagzeuger Dominik Benzler und den von S.Y.P.H. und den Fehlfarben bekannten Gitarristen Uwe Jahnke. Zusammen rumpelrocken und pumpelpoppen sie sich nun mit viel Vergnügen in eine Platte hinein, auf der Doc Schoko gleich als Erstes erklärt, was er vom Leben erwartet: „Gib mir eine Ahnung, nach vorne – überrasch mich schnell“.

Der Strand bildet den Ausgangspunkt für eine musikalische Reise, die von der Avantgarde der späten sechziger Jahre bis zu Punk ein Jahrzehnt darauf führt. Anders ausgedrückt spielt sich Doc Schoko vom Zodiak Free Arts Lab in Berlin zum Ratinger Hof in Düsseldorf. Von einem Experimentierfeld, das die späteren Mitglieder der Band Cluster beackerten, bis zu der Hipster-Kneipe, in der interessante Rotzlöffel auf die Bühne sprangen.

Doc Schoko erlauben solche Zeiten und Spielstätten die Einsicht, dass auch Melancholie eine Triebfeder sein kann. Wie er in „Pferdekopfnebel“ singt: „Mit Kummer im Getriebe sind wir stets wir selbst geblieben.“

Diese Selbstsicherheit erlaubt ihm den freundlichsten Humor, etwa, wenn er in „Trocken“ volksliedhaft „Oh, mein Herz, ich bin so trocken“ deklamiert. Der Gastmusiker Harald Wissler spielt dazu Geige wie John Cale von The Velvet Underground und Uwe Jahnke lässt seine Gitarre wie eine Sitar klingen.

Doc Schoko – Bierchen

Anschließend entdeckt Doc Schoko in seiner Bestürzung über soziale Ungerechtigkeit die Kraft, Südseeinseln umziehen zu lassen. So lässt sich „Hawaii zu Hause“ bereisen, in der Wohnung eines Freundes, dem Doc Schoko ein Poster „mit Palmen drauf und dem Meer“ geschenkt hat. In dem Stück mit zornigen Gitarren wie von Richard Hell and The Voidoids geht es nicht nur darum, dass jemand schon lange nicht mehr das Geld zusammenkratzen kann, dass er für einen Urlaub im viel zu weit entfernten Pazifik bräuchte. Tatsächlich fehlt ihm ganz und gar die Aussicht auf einen Weg raus aus der Hoffnungslosigkeit. Die Kraft, die ihm noch bleibt, reicht für den Jungen, welcher ja bekanntlich nicht weint, bloß noch, um seine Gefühle aufzuhalten: „Er hat fast geheult.“ Und nach diesen Worten spielen Doc Schoko und seine Bande los, als würden sich Can in eine Protest-Jam-Session unter dunklen Gewitterwolken hineinsteigern.

Die allerletzte Möglichkeit, dagegen zu sein, die Ultima Ratio des Nichtmitmachens ist – Schlaf! Der erlaubt, sämtliche Zudringlichkeiten, darunter „ den Brief vom Amt, den von der Bank“, zu ignorieren. Erst „morgen“, wenn Doc Schoko wach wird, „bin ich wieder da“, versichert er sanft und weich im gleichnamigen Stück.

Überhaupt gehören zu den Ereignissen auf „Stadt der Lieder“ die vielen unterschiedlichen Singstimmen, die Doc Schoko so lässig beherrscht. Er hört sich in einem Lied wie ein lasziver Erzähler an, wie ein Barry White der Dosenpfandsammler.

In einem zweiten wie Jona, der aus dem Bauch des Wals raustönt. In einem dritten Lied wirkt er wie ein grollender Kauz. Einer, der sich beim Blick aus dem Wohnzimmer-fenster, während er die Ellenbogen auf einem Kissen auf dem Fensterbrett ablegt, über alles aufregt und sich nur in einem sicher ist: Ressentimentfreier Zorn ist immer gerecht. Zumal, wenn er ihn in einem Bariton rauslässt, der alle Zeit der Welt hat. So wie Doc Schoko, der dabei immer ein ebenso prekärer wie mitreißender Krautrock`n`Roller bleibt. Einer, dem mit „Stadt der Lieder“ ein großes, anti-kapitalistisches Manifest gelungen ist.

(Kristof Schreuf)

DOC SCHOKO
STADT DER LIEDER

Album VÖ: 02.02.2018
(Staatsakt/Caroline International)
LC15105
Format: LP/Digital
UPC: 04260437153304

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