Sebel – Wie deutsch kann man sein?

Pottpoet oder Pottprolet? Sebel ist, wie er ist und kann nicht anders.

Sebel kommt mit neuem Album „Wie Deutsch kann man sein?“
Es gibt Currywurst Schranke, also rot-weiß. Das kühle Pils wird ein wenig schneller weggeschluckt und ungestümer nachbestellt. Ein Handschlag ist hier deutlich fester. Auch schon mal hart am Rande der Schmerzgrenze. Die Mäuler werden hier auch weiter aufgerissen, als sonst wo.

Zechenkinder eben. Derbe ehrlich und direkt. Ohne Schnörkel und Verrenkungen. Aber mögen sie einen, ist die Weggefährtenschaft umso treuer. Jetzt hat auch die Musik ein solches Zechenkind: Sebel, der rockende Vollblutmusiker alter Schule aus Wanne-Eickel. Ganz in der Laß jucken, Kumpel-Manier nimmt er sich das Leben unter dem Grauschleier im Pott vor. Nach der Maxi „Scheiss auf die Disco“, legt Sebel jetzt mit „Wie deutsch kann man sein?“ ein vollständiges Album nach.

Das Klischee lebt in der Provinz

So ist das Ruhrgebiet! Sind der Ruhrpott, seine Bilder von rauchenden Schloten und grauen Industriegebäuden und seine malochenden Menschen wirklich noch so oder ist inzwischen nicht sogar das Klischee überholt?

„Vielleicht im glitzernden Spielcasino auf Dortmunds Hohensyburg. Oder im Edelrestaurant in Essens ehemaliger Zeche Zollverein“, läuft Sebel zu Hochform auf, „aber bei uns in Wanne-Eickel, da gibt es sie noch die Männer mit der harten Fassade. Die sehr lauten, proletenhaften Typen, die lärmend fluchen und pöbeln. Freunde von mir arbeiten wirklich noch unter Tage. So erlebe ich sie in ihrer kleinen Welt und muss sie in meinen Stücken so beschreiben.

Es ist einfach so, hinter jedem Stück steckt eine wahre Geschichte. Ich bin da nur Chronist. Ich bin, wie ich bin. Ich kann nicht anders.“ So sind all’ seine Lieder fest verwurzelt im Provinziellen. Dort, wo die Bauernschlauen, die Verschlagenen leben. Und natürlich haben sie alle das Herz auf dem rechten Fleck. Da lässt Sebel schon mal Lieder mit dreisten Titeln wie, „Wer soll das alles ficken!?“ oder „Scheiss auf die Disco“ erklingen. „Dreist? Vielleicht, aber nie stumpf, immer voller Selbstironie und mit großem Augenzwinkern; denn so sind die Geschichten aus dem Pott“, lacht Sebel lauthals auf, „doch hinter der Pott-Fassade steckt nichts Anderes, als der Wunsch nach dem ganz großen Gefühl. Ein Schrei nach Liebe. Wenn auch in rotzigen Worten, aber letztlich voller Charme, Herz und Humor.“

Sebel gibt dabei seinen Liedchroniken häufig einen Refrain, den jeder mitgrölen kann.

Der Spalt, der ein Stückchen Himmel freilegt

Doch gibt er seinen Liedern genau so die nachdenklichen Zeilen. In Sebels Stücken da steckt mehr drin. Auf den ersten Blick ist Sebel der ungestüme Pott-Prolet und auf den zweiten der einfühlsame Pott-Poet. Der, der die Sinne öffnet und auch den stillen Geschichten einen Ton gibt, wie etwa im Stück „Heimat.“

„Wie in allen meinen Liedern geht es auch in den leiseren Stücken um starke Gefühle, wie etwa der Verbundenheit zu einem bestimmten Ort, den man seine Heimat nennt, und der einen aufbaut und zurückholt, wenn man mal wieder alleine und verlassen ist“, erzählt Sebel, „insofern zeige ich zwar auf, was Heimat bedeutet. Aber das mache nicht bewusst und nach Plan. Ich sage ja auch nicht ganz platt, ich liebe das Ruhrgebiet. Das Gefühl Heimat funktioniert eben weitaus subtiler.“

Die Geschichten der Menschen, die Sebel erzählt, sind sorgfältig im Detail, realistisch in der Zeichnung und bedächtig in der Erzählweise und gebunden an diesen Sehnsuchtsort Ruhrpott. Dazu gehört zweifelsohne das Eckkneipen-Flair. Kneipen, diese Plätze, die den Spalt öffnen, der ein Stückchen Himmel freilegt. Davon erzählt Sebel in „Coka, Kebab und Kippen.“ Alles wie früher. Eigentlich. Nur dass der Blaumann heute der ollen zerrissenen Jeans mit Chucks unten dran und dem rot karierten Hemd oben herum gewichen ist. Aber nach Qualm und eben jener Eckkneipe riechen die Klamotten immer noch. Und über den Durst wird auch immer noch einer getrunken. Ganz nach dem Motto ‚einer geht noch.’ Da wir jedoch im Hier und Jetzt leben, wird aus der obligatorischen Currywurst inzwischen auch schon mal ein Kebab und aus dem Korn ein Raki.

Sex and Drugs and Rock ’n‘ Roll

Sebel schreibt schubweise, dann aber gleich ganze Berge von Liedern. „Bevor ich schreibe, muss in meinem Leben etwas passiert sein“, erklärt er, „eine Wende, ein Einschnitt. Dann muss ich mich hinsetzen, meist jedoch mit einem Monat Verzögerung und schreibe mir das Erlebte von der Seele.“ So gab es ihn also wirklich, den besagten Discobesuch in Sebels Stammladen.

„Wo du jeden Samstag versuchst, ein Mädchen klar zu machen“, plaudert Sebel aus dem berühmten Nähkästchen, „doch wie immer sind die hübschesten Frauen mit irgendwelchen Vollpfosten auf der Tanzfläche. Schließlich gehst du frühmorgens wieder alleine nach Hause und scheißt auf die Disco.“ Doch Sebel jammert nicht rum, wie die derzeit angesagten Jammerpoeten mit ihren langen Bärten und den unsäglichen Flanellhemden.

Er legt die Liebe genau so in die Stücke, wie den Hass. Und dann ist die Provinz so eklig, wie das, was die Menschen einander antun. All’ dies in derartiger Formvollendung zusammenbringen, dass kann eben nur ein Zechenkind. Und eins ist zudem sicher, das Discoerlebnis hat Sebel zwar abgeschreckt, doch nur bis zum nächsten Samstag. Dann wird Sebel wieder auflaufen. Und dem dreckigen Rock’n’Roll ebenso lauschen, wie den puren Sex suchen. Die Musik, die er den Texten zur Seite stellt, ist eher altmodisch und kommt in Altherrenrock-Art daher. „Das muss so“, konstatiert er, „denn genau so rotzfrech, derb und rau, wie die Menschen, sind die Texte und da passt nur der pure Rock’n’Roll. Ehrlich. Handgemacht. Kantig.

Das gute alte Rock’n’Roll-Leben der 1970er Jahre, das will ich wieder in die deutschen Wohnzimmer zurückbringen.“ Bei aller Opulenz der Gefühle, der Worte und der Musik, ist Sebel im richtigen Moment zur äußersten Verknappung bereit. Wie beim Stück „Coka Kebab und Kippen“, das funktioniert ganz reduziert, nur mit einem Banjo, auf dessen Melodie seine Stimme mit dem Timbre durchzechter Nächte leicht verschlurft surft.

Sebel – Wie deutsch kann man sein