M!D!B!TCH „Kosmos Klaus“ Interview

Soeben erschien als digitaler Download bei Bandcamp das Album „Kosmos Klaus“ von Midibitch.

Ursprünglich sollte sich das Release mit der Kunst der Rezitation des vor 28 Jahren verstorbenen Schauspielers Klaus Kinski auseinandersetzen. Doch letzendlich wurde überraschend auf den stimmliche Beitrag von Kinski verzichtet. Das wollten wir genauer wissen und fragten nach. Zu den Hintergründen äußert sich Midibitch aka FRZA in einem per Chat geführten Interview.

M!D! B!TCH - KOSMOS KLAUS
M!D! B!TCH – KOSMOS KLAUS

Vorab für diejenigen, denen Kinski nur aus Parodien und YouTube-Schnipseln bekannt ist, ein paar Fakten: Klaus Kinski wurde 1926 als Klaus Günter Karl Nakszynski in Danzig geboren. Er ist der Vater von Pola, Nastassja und Nikolai Kinski.

Kinski war auf die Darstellung psychopathischer und getriebener Figuren spezialisiert und zählte in diesem Rollenfach auch international zu den gefragtesten Filmschauspielern. Als künstlerisch herausragend gilt seine jahrelange Zusammenarbeit mit dem deutschen Regisseur Werner Herzog, der ihn in Filmen wie Nosferatu – Phantom der Nacht, Aguirre, der Zorn Gottes und Fitzcarraldo engagierte.

International bekannt war Klaus Kinski zuvor durch Rollen in Edgar-Wallace-Filmen und Italowestern geworden. Kinski galt als schwierige und zu extremen Gefühls- und Wutausbrüchen neigende Persönlichkeit. Er verstarb 1991 in den USA. https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Kinski

MidiBitch aka FRZA
MidiBitch aka FRZA 1978

Wie kam es dazu ein Album über bzw. mit Kinski zu machen?

Midibitch: Der Schauspieler und Rezitator Klaus Kinski war einzigartig. Ich wurde als Kind der 70er durch die fantastischen Filme in denen er mitwirkte geprägt und habe Ende der 1970er in meiner Zeit im Internat auch sein Buch „Ich bin so wild nach Deinem Erdbeermund“ gelesen, welches aufgrund der sexuellen, angeblich autobiografischen Protzereien zwischen uns pubertierenden Jungs unter der Hand weitergegeben wurde.

Er war ein extremst guter Schauspieler und sprachlich ein Titan. Jedes Wort ein Donnerschlag, selbst das leiseste Wispern verständlich artikuliert. Nie wieder habe ich eine derartige sprachliche Perfektion gehört. Hinzu kam seine optische Präsenz, der Blick, sein Beben und omnipräsente Körperlichkeit. Ein Meister seines Fachs. Viele fokusieren Ihre Wahrnehmung auf den Schäumenden, den irre Schreienden und Tyrannischen. Dies war aber nur eine, wenn auch sehr laute Facette seines Schaffens.

Sein Ausspruch „Du dumme Sau, du!“ ist mittlerweile Allgemeingut und Teil der Popkultur. Kinski war aber viel mehr und konnte auch viel mehr. Gerade seine Rezitationen zeigen das auf beeindruckende Weise.

Er hat den Künstler als Dämon, den Schaffenden als Zerrissenen, den Schauspieler als Grenzgänger nicht einfach verkörpert, er hat all diese Rollen in intensiver Mischung vorgelebt. Wer ihm zusah, konnte sich am Exzess laben und konnte froh sein, diesem Entgrenzten nicht leibhaftig gegenübertreten zu müssen. Er spielte nicht nur Rollen, er lebte Emotionen aus und verkörperte vor allem den Zwiespalt von Kunst und Moral.

Und genau diese Seite wollte ich im Kontext meiner kosmischen Musik zeigen.

Wieso erschien nun das Album „Kosmos Klaus“ ganz ohne Klaus Kinskis Beteiligung?

Midibitch: Das hat unter anderem einen rechtlichen Hintergrund. Seine Rezitationen die auf Tonträgern verfügbar sind unterliegen dem Urheberrecht. Auch wenn die von Ihm vorgetragenen Werke aufgrund ihres Alters mittlerweile gemeinfrei sind und von jedermann genutzt werden dürfen, trifft dies eben nicht auf die Sprachaufnahmen zu. Es war leider bisher nicht möglich hierfür Nutzungsrechte von der Plattenfirma Universal zu bekommen. Mittlerweile bin ich mir auch nicht mehr so sicher, ob ich Klaus Kinski eine Bühne in meiner Musik bieten möchte, insbesondere wenn dies hohe Lizenzzahlungen an zur Folge hat, die ich als Independent-Musiker nicht ohne weiteres stemmen kann.

Inwiefern spielen die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs seiner Tochter gegenüber Klaus Kinski eine Rolle?

Midibitch: Auf jeden Fall eine sehr große. Wie verhalten sich Kunst und Moral? Der Konflikt zwischen Kunst und Moral manifestiert sich im Leben vieler Künstler. Bei Klaus Kinski kam man nicht umhin diesen zu bemerken, es war geradezu programmatisch. Zetern und toben, vom dringlichen Flüstern bis zum speichelfliegenden Brüllen, jammern und wüten, schluchzen und flüstern: Klaus Kinski war ein herausragender Dasteller der menschlichen Extreme und Abgründe.

Dennoch gibt es definitiv Grenzen. Sie sind dort, wo Verbrechen geschehen und Menschen zu Opfern werden. Der Missbrauch, den seine Tochter Pola Kinski schildert, gehört in diesen Gegenstandsbereich. Der Mensch Klaus Kinski hat, laut seiner Tochter, das Abscheulichste begangen was vorstellbar ist: sexuellen Missbrauch am eigenen Kind.
Damit bekommt das Entgrenzte, das Abgründige in Kinskis Kunst ein faulig-reales Aroma.

Die Realität und die Taten von Kinski sind offensichtlich hässlicher als alles, was er jemals im Film verkörpert hat.

In mir war der Wunsch groß, die Biografie, seine Taten vom künstlerischen Schaffen zu trennen. Glaubt man dem Opfer, stellt man fest, dass diese Form der Betrachtung nicht funktioniert: Der Berserker Kinski war Realität. Der Verbrecher offenbar auch.

Als Du mit dem Projekt begonnen hast waren Dir die Vorwürfe nicht päsent?

Midibitch: In der Tat ist das ein Phänomen. Natürlich habe ich 2013 durch die Medien von den Vorwürfen Pola Kinskis gegenüber Ihrem Vater erfahren und war damals sehr erschrocken, wenn nicht fassunglos. Leider scheint man dazu zu neigen, dass was nicht sein darf wegzuschieben und zu beschließen, dass man die Dinge trennen kann.

Nahezu 5 Jahre später, als ich mich mit den ersten Planungen zu dem Projekt auseinandersetzte, hatte ich so viel Abstand, dass der Schleier des Vergessens die Oberhand gewonnen hatte. So nach dem Motto: „ja aber die Kunst des Titan Kinski ist so epochal und einzigartig, das lass ich mir nicht kaputt machen“.

Im Laufe des Produktionsprozesses beschlich mich zunehmend ein ungutes Gefühl. Ich begann langsam einen Schmerz zu spüren, den man vermutlich erfährt, wenn der Täter Kinski weiter auf einen Sockel eines Heiligen gehoben wird und das Verbrechen abkoppelt, um der Kunst und des Vergnügen willen.

Ich war bereits mit dem Projekt nahezu durch und habe erst beim Mastering-Prozess realisiert, dass ich trotz aller Begeisterung für den Künstler Klaus Kinski und seiner einzigartigen Rezitationskunst, einem Sexualstraftäter nicht eine Bühne bieten kann, ohne dabei ein mehr als mieses Gefühl zu haben.

Aus diesen Gedanken, Überlegungen und Gründen werden wir das Album ohne die Rezitationen von Klaus Kinski veröffentlichen und sämtliche Einnahmen aus diesem Projekt an die Organisation Dunkelziffer e.V. spenden um deren Arbeit zu unterstützen.

Was können wir in Zukunft noch von Dir erwarten?

Midibitch: Nach dem Album ist vor dem Album. Aktuell arbeite ich an der EP „Kosmischer Nebel“, die noch in diesem Jahr erscheinen wird und die ich aktuell abmische. Die Songs bewegen sich wieder mehr in der Tradition der Berliner Schule von Klaus Schulze, Bernd Kistenmacher, Peter Baumann, Adalbert von Deyen und Tangerine Dream. Eigentlich bin ich in den letzten Jahren permanent dabei neue Ideen auszuprobieren und den Weg, den ich eingeschlagen habe, weiter zu gehen, um eines Tages ein Album zu produzieren, welches mein letztes sein wird, weil es dem angepeilten Zielbild meiner kosmischen Musik entspricht. Das wird aber, sagen wir es mal vorsichtig, noch ein wenig dauern…

Vielen Dank für das Interview.

MidiBitch: Sehr gerne, ich habe zu danken.

Mehr Informationen zu MidiBitch:
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Midi bitch Soundcloud

Ergänzung zu dem Missbrauch von Kinksi:
https://taz.de/Kinski-Missbrauch-in-der-SZ/!5075077/